Ein Königreich für Kinder

Prolog
Eines Morgens sah die kleine Waldkönigin aus dem Fenster ihres Kinderzimmers und freute sich. „Und? Wie ist das Wetter heute?“, fragte die Mutter. „Schön“, antwortete die Waldkönigin. „Es regnet ganz viel.“

Etwas abseits der kleinen Stadt, an einem Wanderparkplatz für die Waldbesucher stehen vier grüne Bauwagen am Rande des Waldes. Hier toben, kuscheln, bauen, sägen, malen, schneiden, essen, lesen und lachen die Waldkönige, wenn sie nicht gerade im Wald unterwegs sind – mit ihren ErzieherInnen, einem Bollerwagen für Krimskrams und Spielsachen, der Kuschelkutsche und ungeheurer Abenteuerlust.

Hier oben, am obersten Zipfel von Königsdorf, ist jeder Kindergartentag anders, schon, weil das Wetter jeden Tag ein anderes ist. An Regentagen werden Pfützen entwässert, Regenwürmer unter die Lupe genommen oder Laubdächer gebaut. An Schneetagen wird gerodelt, auf vereisten Pfützen balanciert oder ein Schneelied gesungen. An Sonnentagen werden Musikinstrumente geschnitzt, Bilder gemalt oder Lehmkugelbahnen gebaut. An Sturmtagen bleiben die Kinder jedoch im Bauwagen oder, wenn es sein muss, sogar zu Hause.

Auf diesem besonderen Fleckchen Erde lernen die Waldkönige, egal, ob sie nun zwei oder sechs Jahre alt sind, was unter der Erde lebt und über der Erde wächst. Sie lernen, dass man viele Dinge viel leichter schafft, wenn man sie zusammen versucht. Sie entwickeln einen natürlichen Respekt vor der Natur mit ihrem Reichtum und mit ihren Grenzen. Sie begreifen Zusammenhänge und entwickeln Fertigkeiten, die sie später in der Schule benötigen, um rechnen, lesen oder schreiben lernen zu können. Aber was noch viel wichtiger ist: Sie lernen schon früh, Verantwortung zu übernehmen.

Epilog
Als die kleine Waldkönigin nach diesem Regentag im Auto auf ihrem Kindersitz saß, war ihr Gesicht mehr zu erahnen als wirklich zu sehen. Im Kofferraum lagen ihre Regenklamotten und Gummistiefel, behaftet mit reichlich Wald. „Und hattest du einen schönen Tag?“, fragte die Mutter. „Ja!“, rief die kleine Waldkönigin. Und zwischen all dem Dreck und Lehm auf Wangen, Nase und Stirn blitzten die Augen hervor.